Bom dia São Paulo - Olá Brasil

Eindrucksvoll schwenkt der Vogel im weichen Morgenlicht zur Landung in eine Wüste aus Beton. Hektisch kaue ich auf dem ORBIT zur Vermeidung des Ohrendruckes. Das Bild, welches der Blick durch mein zerkratztes Bullauge bietet, ist beeindruckend und verstörend zu gleich. Die Stadt verfügt scheinbar weder über einen Anfang noch über ein Ende. Grünflächen sind bis wenige Meter über den Boden nicht auszumachen. Stattdessen reiht sich Beton an Asphalt an Beton. Gruppierungen hoher Plattenbauden ragen aus flächendeckenden kleinen Hütten. Ist das noch Morgennebel oder doch Smog. Sanft setzt der Flieger zu Landung auf, dann rütteln die Bremsen und es klatscht der Mopp. Guten Morgen Sao Paulo, hallo Brasilien.

Auf staksigen, steifen Beinen und in viel zu kleinen Schuhen verlasse ich zusammen mit der Gruppe das überdimensionierte Cache-Mobil. Müde geht es durch das übliche Flughafenlabyrinth, vorbei an mürrisch aussehendem Personal und durch die Passkontrolle. Eindrucksvoll gibt die erste herbeigesehnte Toilette farblich sowie olfaktorisch Aufschluss über das duale System im südamerikanischen Sanitärbereich.

 

Außerhalb des Sicherheitsbereiches ist Geld tauschen angesagt. Die Wechselschalter, die von drei jungen Leuten bedient werden, ticken bereits nach der neuen Zeit. Ein Teilnehmer unserer Gruppe echauffiert sich lautstark über die gelassene Arbeitsweise und sucht Beifall heischend in der umstehenden Menge nach Bestätigung. Laut schallend polltert und krakeelt er vor sich hin, während sich der Rest fremdschämend abwendet.

Dann heißt es: Warten auf den Bus. Überhaupt werden wir auf der kurzen Reise recht viel Zeit mit Warten verbringen. Es ist kurz nach Sechse in Sao Poulo und in sächsischen Händen ploppen die ersten hopfenhaltigen Warte-Getränke auf. Überhaupt gibt es auf dem Affen-Trip recht viel Biersorten. Da wären das eben erwähnte Warte-Bier, das Start-Bier, das Weg-Bier... Auf die Frage: Wie wär's, wollen wir ein Bierchen trinken?" kommt promt die Antwort: "Ich verstehe die Frage nicht!"

Sao Paulo - Moloch aus Beton

Nach der Warterei, dem ersten Bierchen und natürlich auch den logbuchhaltigen Dosen (Länderpunkt Brasilien, Yeah!) ist er endlich da, der bunte Bus. Gepäck und Geocacher werden sicher verstaut und los geht die rumpelige Fahrt. Über zahlreiche Speed-Humps, zwischen Auto- und Lastwagenkolonnen, merkwürdigen VW-Modellen wie dem VW Gol - nein hier fehlt kein F - und Motorrädern. Klar zum Stadtbild gehört der VW Bulli. 1957 startete im frisch errichteten VW-Werk nahe dieser brasilianischen Metropole die Fertigung des T1. Erst 1975 wurde dort die Produktion auf den neueren T2 umgestellt. Doch jetzt ist auch in Brasilien Schluss. Ende Dezember 2013 rollte dort der letzte Bulli aus der Werkshalle. Die Jungs vor und hinter mir sind begeistert.

Die Stadt macht auch aus der Nähe alles andere als einen gesunden Eindruck. Der Fluß Tietê, der selbstverständlich einbetoniert durch die Großstadt schwappt, ist dickflüssig und träge. Bei seiner Reise durch die City nimmt er die Abwässer von über 17 Millionen Einwohnern auf. Das ist dem Gewässer, sofern man es noch so nennen mag, auch auf Anhieb anzusehen. Wer mehr darüber erfahren möchte, bekommt HIER die passende Lektüre dazu.

 

Zudem fällt auf, dass enorm viele Gebäude angefangen sind und nun unvollendet da stehen. Das Lost Place Herz schlägt satt in der Brust und egal wohin man schaut - T5-Potential an jeder Ecke. Ebenso auffällig ist die Dichte der Gefängnisse. Das was ich von außen zu sehen bekomme, mag ich mir von Innen kaum vorstellen. Die Müdigkeit der schlaflosen Nacht ist wie weggeblasen. Sao Paulo gleitet an der Busscheibe vorbei wie ein riesiges Wimmelbild - nicht unbedingt schön, aber unglaublich anders und spannend.

 

Seltsamer Weise nimmt die Stadt ein ziemlich abruptes Ende. Die Gegend wird nun schnell ländlich. Grau wird zu grün, wird zu roter Erde, wird zu bunten Hütten. Dürre Kühe weiden am Straßenrand. Autofriedhöfe in bisher ungesehenem Ausmaß erstrecken sich meist in der Nähe von Polizeistationen. Der Verkehr auf der Schnellstraße bleibt. LKWs haben oft bunt bemalte Bordüren am oberen Rand der Ladefläche. Da jede anders aussieht, gehe ich fest davon aus, dass der Fahrer die selbst ausmalen darf - egal, sieht jedenfalls schön aus, irgendwie folkloristisch.

Butterbrot mit Zimt auf portugiesisch

Wir halten an unserer ersten Raststätte. Am Eingang gibt es für jeden eine überdimensionierte Speicherkarte. Neugierig schauen wir uns um. In den Auslagen befinden sich allerhand appetitliche Dinge. Um was es sich im Einzelnen handelt, das weiß selbst der Google Translator nicht. Noch während ich die gold panierten Zapfen und Mini-Teigtaschen begutachte, steigt mir der intensive Duft von Karamell, Kaffee, Zimt und Butter in die Nase. Dieser extreme Lockstoff schwebt von nur einem Teller zu mir heran. Ich frage den Besitzer der Köstlichkeit, um was genau es sich bei seinem Frühstück handelt. Er spricht zum Glück Englisch und schwärmt mir von seinem Butterbrot mit Zimt vor. DAS will ich auch. Selbst dem Werkstroll neben mir tropft der Zahn. Ich zeige auf den Teller und forme mit den Fingern ein 2 in Richtung Kellnerin. Sie versteht nicht. Ich bitte den Brotbesitzer mir den portugiesischen Namen des Leckerlis zu nennen. Wiederhole, zeige die 2. Die Kellnerin scheint nicht gemerkt zu haben, dass ich der portugiesischen Sprache nicht mächtig bin und stellt mir mehrere Fragen. Ich lese ihr das besagte Zimtbrot noch mehrmals so gut ich kann von der Tafel vor. Nun kommt ein weiterer Gast, der unsere Verzweiflung spürt, hinzu. Er fragt auf englisch was wir wünschen und übersetzt es für die Zimtbrotverkäuferin. Alle nicken erleichtert -  der Translator verschwindet wieder. Sie stellt neue Fragen - wir geben nach etwa 20 Minuten auf, setzen uns an einen der Tische und lassen uns einfach überraschen. Ein Zimtbrot werde ich auf der ganzen Reise nicht bekommen. Aber der Kaffee tut gut und die fette Butterbemme passt auch ohne Zimt hervorragend zu meiner Malaria-Tablette. Die Speicherkarte bringen wir zur Kasse - wo uns zwei Zimtbrote abgerechnet werden.

Nur noch schnell den Bus mieten

Bereits am Flughafen erklären uns die beiden Reiseleiter Sven und Arne, dass wir noch zum Busunternehmen fahren müssten, um den Preis auszuhandeln. Klingt suspekt, geht aber wohl nicht anders. Ein bisschen mulmig ist mir schon, als sich mitten in der Pampa ein Hoftor öffnet. Wir fahren hinein. Habe ich zuviele Horrorfilme gesehen oder warum mache ich mir Sorgen um meine Organe? Alles wird gut - Sven verschwindet mit dem dicken Geldbeutel und dem sogenannten "Junior" im Hinterhaus. Bis der Deal ausgehandelt ist, warten wir im Bus. Nachdem wir nachfolgend die Wasservorräte des örtlichen Supermarktes geplündert haben, setzt das Gruppen-CM endlich die Reise Richtung Intervales Park fort.

Weniger als 50 km bis zum letzten A.P.E.

Die Landschaft, die nun am Busfenster vorbeizieht, fühlt sich schon wesentlich mehr nach Brasilien an. Urwaldreste wechseln sich auf der hügeligen Fläche mit weiten Feldern ab. Palmen und die Brasilianische Araukarie sind für uns Europäer ein besonderes Motiv. Letzteres ist ein Nadelbaum, dessen Baumkrone meist dem jüdischen Kerzenständer ähnelt. Die Straßen werden enger, aus Asphalt wird roter Staub. Die Dörfer, die wir nun noch durchfahren, sind eng. Steile Kurven verlangen Bus und Fahrer besondere Fähigkeiten ab. Ich rufe den GCC67 im L4C auf und bekomme die Information, dass wir Luftlinie weniger als 50 km entfernt sind.

Die Vornesitzer im Bus erhalten die Genehmigung, einen Cache direkt an der Strecke zu suchen. Eine kurze Gelegenheit, auch die muffigen Plätze im hinteren Teil des Busses zu verlassen, um Luft zu holen und die Aussicht ohne Busscheibe zu genießen. Derart ausgiebige Pausen werden nicht gern gesehen - ist mir und den anderen in dem Moment jedoch kurz wumpe! Luftholen, links gucken, mitte gucken, rechts gucken - 4 Fotos und schon sitzen wir wieder brav auf dem Velourmöbel.

 

Wir rumpeln weiter die rote Piste entlang. Das Gebiet ist hier nur noch sehr dünn besiedelt. Das Getriebe des Busses brüllt bei manchen Steigungen gequält auf. Während der Schußfahrten stellen wir uns den Trail nach 3 Tagen Dauerregen vor und beginnen auszurechnen, wie viele Wochen wir dann wohl im Intervales bleiben dürften/müssten. Dann passieren wir den Eingang des Camps.

Intervales State Park

Der Intervales State Park ist ein Naturschutzgebiet verwaltet von der Forestry Foundation. Es umfasst eine Fläche von etwa 41.700 Hektar und wurde im Jahr 1995 gegründet. Geschützt wird die Region jedoch schon seit 1987 (ehemalige Fazenda Intervales). Der Park liegt auf einer 3300 Meter hohen Böschung der Serra do Mar. Besonders bekannt ist das Gebiet unter Ornitologen. Mehr als 400 Vogelarten können hier beobachten werden.

Foto: Garfield72
Foto: Garfield72

Zimmerverteilung mit Hindernissen

Die Beobachtung der Blattschneideameisen an der Rezeption ist noch recht lustig. Nun beginnen wir abermals mit der Ausfüllung von Formularen. Die Nummer des Reisepasses ist unser ständiger Begleiter. Als klar wird, dass die Lodges zum Teil über 500 Meter entfernt voneinander im Park verstreut liegen, äußere ich den Wunsch, zusammen mit meinen Jungs (Werkstroll, BrunoX und Lennert87) in eine Hütte zu ziehen. Schließlich gibt es weder die Möglichkeit zu telefonieren, noch so etwas exotisches wie W-Lan. Die Reiseleiter verhalten sich an der Stelle wie Erzieher im Pionierlager. Es fehlt mir an dem Nachmittag eigentlich nur noch der Satz: "Keine Widerrede!" Obwohl alle Zimmer über mehr als 3 Betten verfügen, lande ich alleine im Sechsbettzimmer in der weit entfernten Pousada Onca Pintada. Bemühungen seitens der Orga gibt es keine. Besonders ärgerlich, weil mein Wunsch nach Besichtigung der Räumlichkeiten einfach zu erfüllen gewesen wäre. Die durchgemachte Nacht, die lange Anreise - oh ja, man könnte sagen, dass meine Stimmung etwa dem Wetter im Park entspricht. Es hat 12 ° Celcius und regnet. Den Regen kann ich gerade noch zurück halten.

Den Koffer packe ich nicht aus - dafür sind keine Möbel vorgesehen. Das stört mich nicht, denn die Lodge passt eigentlich ganz gut zu einer Reise in den Urwald. Ich kühle mein Gemüt unter der dünnstrahligen Dusche etwas runter. Der Duschkopf entspringt einem elektrischen Gerät, welches in Europa wohl keine Zulassung für Nasszellen erhalten würde. Dafür kann ich beim Duschen aus dem Fenster schauen, denn selbiges geht nicht zu schließen. Ob die handtellergroßen Spinnen des Urwaldes diesen geheimen Zugang zu meinem Zimmer kennen? Na guck - zumindest der Moskito kennt den Weg! Zum Glück hatte ich mich beim letzten Umpacken des Koffers gegen das Moskitonetz entschieden. Und draußen vor dem Fenster - ach schön - da stehen Leute. Läuft!

 

In frischen Klamotten sieht die Welt schon wieder besser aus. Ich muss lachen, denn das Zimmer hat die typischen Kritzeleien einer Jugendherberge. Ich finde mehrere skizzierte und in Holz geritzte Penisse. Sofort denke ich an meine Penis-Freundin Luisa! Luisa: Penis, hihihi! Ich mache mich auf die Suche nach der Schlafrolle mit den wenigsten haptischen Flecken. Riechen tun alle gleich muffig - egal, denn das hier ist adventure und damit voll der Dschungel. Dann schlafe ich eben in langer Montur und mit Kaputze. Schon wegen des Moskitos.

 

Erleichtert höre ich, dass der Werkstroll in tha house ist. Stolz zeige ich ihm mein Reich und preise die vielen Betten an. Er sagt, dass sie einen Pool haben. Das Thema ist gegessen.

Karte: Google Earth
Karte: Google Earth

Kantine

Zusammen mit dem Troll schlendere ich den langen Weg zur Kantine und zur Pousada Pica Pau. Dort sitzen schon meine Jungs, mit Blick auf ihren Pool, die Badeklamotten auf der Leine und schlürfen gemütlich Cerveja. Nach dem obligatorischen Warte-Bierchen geht es hinüber in die Kantine. Hier erwarten uns Instruktionen für die kommenden Tage, ein brasilianisches Buffet und nur so viel Bier, wie man nach den Strapazen mit aller Gewalt trinken kann. Saúde!

Alt werden wir an diesem Abend alle nicht. Der Wirt zeigt uns noch die Wasserschweinchen, die jeden Abend zur Futterstelle kommen. Doch mehr als ein paar Wanderreflektoren sind im Schein der Kopflampe nicht auszumachen. Irgendwann 18 Uhr stapfe ich den Weg zur Pousada Onca Pintada allein zurück. Es ist bereits tiefdunkel und der Wald ist für einen Alleingang eigentlich zu geräuschvoll. But I survived.

 

PS: Ihr könnt auf die Bilder klicken bzw. tippen, um diese zu vergrößern und die Untertitel zu lesen.

 

Na dann bis Morgen! Dann geht es in die Höhle.



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Kommentare: 2
  • #1

    eugenkrf (Montag, 10 Oktober 2016 21:32)

    Frau Muffmuff hat einen neuen Fan. :-) Es macht mir einen riesigen Spass deine Zeilen im Blog zu lesen. Dazu die schönen Bilder. Alles perfekt. Viele eigene Erinnerungen kommen wieder hoch, wenn man hier liest. Weiter so. Ich bin gespannt auf deine nächsten Reiseeindrücke.

  • #2

    Kuchen-Kurt (Montag, 10 Oktober 2016 22:04)

    Ich oute mich gleich als nächster Fan ☺.
    Wunderschön geschrieben. Was der Rest vorher nicht geschafft hat: JETZT bin ich NEIDISCH.
    Ich freue mich schon auf die nächste abendliche Lektüre.
    Ganz liebe Grüße!